Wie weiß ich, wer ich bin? Identitätsentwicklung gut begleiten

Was für ein Mensch wird mein Kind mal, wenn es erwachsen ist? Diese Frage beschäftigt viele Eltern bereits lange vor der Pubertät. Schon in der Schwangerschaft haben Eltern Bilder im Kopf, wie ihr Kind mal wird, was sie mit ihm machen wollen. Umso schwieriger, wenn Kinder andere Wege einschlagen als die, die Eltern sich ausgemalt haben. „Ich habe mir immer vorgestellt, wie ich mit meinem Sohn samstags auf dem Fußballplatz stehe. Mein eigener Vater hatte dafür keine Zeit. Und nun interessiert sich mein Kind gar nicht für Fußball und zeichnet lieber den ganzen Tag“ erzählt ein Vater.

Wenn Kinder ihre eigenen Interessen und Vorlieben entdecken, können Eltern erstmal stolz auf sich sein, denn sie bieten ihren Kindern offenbar genug Sicherheit, um Neues auszuprobieren. Können Eltern ihren Kindern diese Stabilität nicht gewährleisten, womöglich weil sie selbst zu viel Angst davor haben, aufzufallen oder zu scheitern, kommt es nicht selten dazu, dass Kinder sich stärker anpassen als es gesund ist. Im Extremfall bilden sie ein so genanntes „falsches Selbst“ aus. Sie stapfen z.B. in die Fußstapfen der Eltern, obwohl es ihnen nicht entspricht. Von Außen sieht dies oft so aus als wäre alles „in bester Ordnung“, aber innerlich entsteht eine Leere, die immer schwerer auszufüllen ist. Es fehlt an haltgebender innerer Identität.

Dieses Dilemma erleben besonders oft Jugendliche, die nicht heterosexuell oder nicht cis-geschlechtlich sind. Also beispielsweise Mädchen, die feststellen, dass sie sich nicht (nur) von Jungs angezogen fühlen, sondern (auch) von Mädchen. Trotz der Tendenz, dass queeren Lebensweisen in Deutschland mehr Toleranz und Offenheit entgegen gebracht wird als früher, hatten laut einer Studie vom Deutschen Jugendinstitut von 2015 rund 70% der befragten Jugendlichen vor ihrem „Coming-out“ die Sorge, von Familienmitgliedern abgelehnt zu werden. Etwa 20% befürchteten sogar von ihren Eltern bestraft zu werden. Oft führen diese Befürchtungen zu Rückzug, Leistungsabfall und trauriger Stimmung.

Tatsächlich müssen viele Eltern, selbst dann, wenn sie im Allgemeinen offen gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*Menschen sind, bei ihren eigenen Kindern erstmal schlucken, wenn diese sich ihnen offenbaren. Denn auch die Eltern müssen ihre Vorstellungen vom Leben ihres Kindes anpassen. Es kann hilfreich sein, sich Zeit zu nehmen, mit anderen ins Gespräch zu gehen oder Beratung aufzusuchen.

Gegenüber den Kindern sollten Eltern stets versuchen, wertschätzend und zuversichtlich zu reagieren. Denn letztlich ist es ein Vertrauensbeweis, wenn Kinder sich mit einer solch persönlichen Thematik an ihre Eltern wenden. „Danke, dass du mir davon erzählst“, kann ein Satz sein, der die Eltern-Kind-Beziehung stärkt und die Sorge des Kindes lindert, dass die eigene Identität zu einer Distanz gegenüber der Familie führen könnte.

Ähnlich verhält es sich, wenn Kinder ihre eigene Geschlechtsidentität anders erleben als bei der Geburt vermutet – oft schon eine Weile vor der Pubertät, manchmal auch erst deutlich später. Zum Beispiel kann ein Kind, das bei der Geburt als Mädchen eingeordnet wird, durch Sprache oder Verhalten mitteilen, dass es sich eher als Junge fühlt, oder irgendwo dazwischen. Auch, wenn die Trans*Geschlechtlichkeit heute präsenter in den Medien ist und es insgesamt etwas mehr Offenheit dafür gibt, befürchten Eltern oft, dass es ihre Kinder schwer haben könnten. Nicht ganz unberechtigt: Die Studie vom Deutschen Jugendinstitut zeigt, dass ca. 15% der Jugendlichen von Gleichaltrigen ausgegrenzt wurden. Gleichzeitig sind der Rückhalt zu Hause und ein stabiles Identitätsgefühl die besten Ressourcen um mit Herausforderungen umgehen zu können. „Ich darf werden, wer ich bin“ und „ich bin gut, so wie ich bin“ sind innere Überzeugungen, die Menschen jeden Alters befähigen glücklich zu werden. Und ist es nicht das, was Eltern sich für ihre Kinder wünschen?

Wenn Sie sich für sich selbst, Ihr Kind oder Ihre ganze Familie Unterstützung wünschen, stehen wir Ihnen gerne zur Seite!

Elisabeth Müller, Dipl. Psychologin, Ev. Beratungsstelle für Erziehungs-, Paar- und Lebensfragen (EFB) in Tempelhof