Belastungen und Folgen von Hochstrittigkeit für die Kinder
Zusammenfassung des Vortrages und der Arbeitsgruppe beim 14. Fachtag der Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung Brandenburg.
Das Kindschaftsrechtsreformgesetz (KindRG) von 1998 regelte, dass nach einer Scheidung weiter das gemeinsame Sorgerecht gilt, wenn kein anderslautender Antrag gestellt wird und auch in diesem Fall kann das Gericht eine Entscheidung pro gemeinsame Sorge treffen. Den Eltern gab es die Aufgabe, für Fragen des Sorge- und Umgangsrechtes selbst Lösungen zu finden. Es vollzog damit einen Paradigmenwechsel bezüglich des Verständnisses von „Kindeswohl“: während bis dahin der für die Erziehung besser geeignete Elternteil ermittelt werden sollte, gilt nun das Fortbestehen der Beziehung zu beiden Eltern als notwendig für das Wohl des Kindes. Das Gericht soll auf Einvernehmen der Eltern hinwirken und kann in diesem Zusammenhang auf die Beratungsdienste der Jugendhilfe hinweisen. Die Gesetzesreform stärkte die Position des Kindes, sprach ihm u.a. das Recht auf Umgang mit beiden Eltern zu und formulierte für diese „das Recht und die Pflicht“ zum Umgang mit dem Kind.
In vielen Fällen, in denen zuvor nach Trennung ein Abbruch der Beziehung zwischen Kind und weggeschiedenem Elternteil, meist dem Vater, gedroht hätte, kam es nun zu emotional stark besetzten und langanhaltenden Auseinandersetzungen vor allem um Umgangsregelungen. Nach der Kindschaftsrechtsreform etablierte sich für solche Konstellationen der Begriff „Hochstrittigkeit“. Die Möglichkeit des Verweises auf Beratungsdienste wurde durch das FamFG von 2009 weiter akzentuiert: das Gericht kann nun auch anordnen, dass Eltern an einer Beratung der Kinder- und Jugendhilfe teilnehmen. Im Kontext des „Hinwirkens auf Einvernehmen“ nahm Beratung also eine mehr und mehr bedeutsam werdende Rolle ein. Doch hat das Phänomen Hochstrittigkeit (nicht nur in der Beratungslandschaft) zunächst Irritationen und Ratlosigkeit ausgelöst und nicht selten die Einschätzung, dass effektive Beratung hoch konflikthafter Familiensysteme nicht möglich sei. Das hergebrachte Verständnis von Beratung mit einer betonten Forderung nach Freiwilligkeit der Ratsuchenden und eingespielten Formen der Handhabung von Schweigepflicht schien der notwendigen Kooperation mit dem Familiengericht und anderen Professionen im Wege zu stehen. Zudem musste man feststellen, dass die in der Trennungs- und Scheidungsberatung üblichen Vorgehensweisen bei hochstrittigen Eltern nicht griffen. Angesichts dieser Situation richtete die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) zwei Arbeitsgruppen ein (2002 – 2004; 2010 – 2012), die sich mit Fragen der Beratungsarbeit bei Hochstrittigkeit nach Trennung auseinandersetzten. Sie war außerdem beteiligt an einem Forschungsprojekt „Kinderschutz bei hochstrittiger Elternschaft“ (2006 –2009). Die Ergebnisse dieser Projekte wurden jeweils in Publikationen vorgelegt (Weber, Schilling (Hrsg.) 2006; Weber, Alberstötter, Schilling (Hrsg) 2013; Deutsches Jugendinstitut (DJI) 2010). Die folgende Darstellung der Thematik folgt den in diesen Projekten entwickelten Perspektiven.
Hochkonflikthaftigkeit in Abgrenzing zu “normalen” Trennungskonflikten
Das dreistufige Modell der Konflikteskalation von Alberstötter (2006) ist in der Praxis gut aufgenommen und gilt als sinnvolles Orientierungsmodell (vergl. bke-Stellungnahme in diesem Heft S. 40 ff.). Alberstötter unterscheidet:
- Stufe 1: Zeitweilig gegeneinander gerichtetes Reden und Tun
- Stufe 2: Verletzendes Agieren und Ausweitung des Konfliktfeldes
- Stufe 3: Beziehungskrieg – Kampf um jeden Preis.
Eine Unterscheidung von 3 Konfliktstufen ergab sich auch im Rahmen empirischer Forschung im angesprochenen Forschungsprojekt, wobei die Väter und Mütter auf der höchsten Konfliktebene sich von den beiden anderen Gruppen vor allem auch in Merkmalen unterscheiden, die bedeutsam für professionelle Interventionen sind.
Für die erste Stufe gilt, dass bezüglich der Haltung von Vater und Mutter noch deutliche Ressourcen im Sinne von konfliktreduzierenden Einsichten gegeben sind und die Neutralität von Dritten – z. B. professionellen Helfern – akzeptiert wird. Dies gilt für Stufe 2 in reduziertem Maß und für Stufe 3 nicht mehr: hier geht es um „Recht haben und bekommen”.
Alberstötter versteht sein Stufenmodell nicht als diagnostisches Instrument im engeren Sinn, vielmehr als Orientierungshilfe in der „Landschaft Hochstrittigkeit“, wobei die auf der ersten Stufe genannten Merkmale nicht für Hochstrittigkeit stehen. In der Folge wird von Hochstrittigkeit bzw. Hochkonflikt gesprochen bei Vorliegen einer hochgradigen Ausprägung der zweiten oder der dritten Stufe der Konflikteskalation.
Weitere bedeutsame Aspekte von Hochstrittigkeit werden in der Praxis sowie den Ergebnissen des angesprochenen Forschungsprojektes deutlich:
- Verletzungen, Kränkungen im Trennungsprozess spielen eine bedeutsame Rolle
- von großer Bedeutung sind nicht nur symmetrisch aufgeschaukelte Konflikte (lautes, aggressives, forderndes Verhalten beider Partner); Konstellationen, in denen ein Partner immer mächtiger und der andere immer hilfloser, resignierter erscheint, können als komplementär aufgeschaukelt verstanden werden und sehr destruktiv und gefährlich sein
- der Fokus hochstrittiger Eltern ist auf Argumentation gerichtet, nicht auf Veränderung der Situation
- Interventionen der Profis, die unmittelbar auf den Elternkonflikt zielen, werden oft nicht als hilfreich, mitunter als konfliktverstärkend wahrgenommen
- Beratungserfolg tritt eher ein, wenn auch Verständnis (Empathie) für die eigene Situation erlebt wurde
- Kinder werden in den Konflikt einbezogen und instrumentalisiert
- hochstrittige Väter und Mütter sind – als Eltern – entgleist, nicht „geschäftsfähig“.
Konflikte regulieren
Übergeordnete Ziele in der Arbeit mit hochkonflikthaften Eltern sind:
- Umgangs- (eigentlich:) Beziehungskontinuität für die Kinder
- Verminderung der Elternkonflikte über Umgangsoder Sorgerechtsfragen hinaus
Eine Konfliktregulierung, die sich nur auf die Organisation von Umgangskontakten bezieht, ist keinesfalls ausreichend. Auch bei stattfindenden Umgangskontakten können heftige Konflikte der Eltern weiterbestehen und die Kinder nachhaltig belasten. Deshalb ist es bei eskalierten Konflikten notwendig, auf deren Regulierung hinzuwirken. Dies wird häufig zur Aufgabe von Beratungsstellen, an die die Eltern durch das Gericht verwiesen werden. Es ist sinnvoll, dabei zwei Perspektiven zu unterscheiden:
Befriedung zielt auf die Lösung/Bearbeitung der Elternkonflikte und hat eine kooperative Elternschaft zum Ziel. Doch wird in vielen Fällen bei hochstrittigen Eltern ein solches Ziel kaum zu erreichen sein, jedenfalls nicht in einer überschaubaren Zeit. Eine Form der Konfliktregulierung, die auf Befriedung zielt, ist die Arbeit nach dem Lebensflussmodell nach P. Spengler (2006).
Eine andere Form der Konfliktregulierung ist eine „geordnete Abgrenzung“ nach dem (alttestamentarischen) Muster: „Willst du nach links, gehe ich nach rechts. Willst du nach rechts, gehe ich nach links“. Für hoch eskalierte Elternkonflikte bedeutet das: „Ich lasse dich Vater sein – du lässt mich Mutter sein. Da unsere Begegnungen immer wieder belastend und mit Auseinandersetzungen verbunden sind, gehen wir uns erst einmal aus den Füßen und suchen einen vernünftigen Weg, wie wir die im Interesse der Kinder notwendigen Absprachen treffen können – im Bedarfsfall mit Hilfe eines Dritten.“ Die Etablierung einer solchen „parallelen Elternschaft“ kann zunächst die einzig mögliche Form der Konfliktregulierung und Entlastung für die Kinder sein. Es ist in vielen Fällen unrealistisch und kontraproduktiv, von „Hochstrittigen“ auf Anhieb mehr zu erwarten. Doch kann es so zu einer Beruhigung kommen, die eine Entwicklung in Richtung mehr Konsens einleiten kann.
Weitere wichtige Dimensionen der Beratung hochstrittiger Eltern:
- sie folgt nicht den Interessen der Eltern und deren „Beratungsauftrag“, sondern ist am Kindeswohl orientiert und verlangt eine eindeutige dementsprechende Positionierung
- sie verlangt ein hohes Maß an Strukturierung und Regelsetzung: je höher das Konfliktniveau, umso mehr Direktivität ist notwendig
- gleichwohl brauchen hoch strittige Eltern auch das Gefühl, verstanden zu werden
- ein empathisches Eingehen auf Mutter oder Vater ist in der Regel nur in Einzelsitzungen möglich, das hat Konsequenzen für das Setting
- in den meisten Fällen ist es sinnvoll, zunächst in Einzelsitzungen eine Beziehungsaufnahme zu Vater und Mutter anzustreben und sie für eine gemeinsame Arbeit zur Regulierung ihrer Konflikte zu motivieren
Die Situation der Kinder bei hochstrittiger Elternschaft – Belastungen
Hochstrittige Eltern schaffen eine Lebenssituation, die für ihre Kinder durch Dauerstress und Hilflosigkeit gekennzeichnet ist. Sie sind gezwungen, eigene Verarbeitungs- und Anpassungsmechanismen zu entwickeln, die „kritisch“ sein und aktuell wie auf Dauer zu Fehlentwicklungen führen können. Es folgt eine Skizzierung von solchen Facetten einer Hochkonflikthaftigkeit, die von hoher Bedeutung für die Kinder sind:
- Hoch konflikthafte Elternschaft ist verbunden mit verminderter Reagibilität und Erziehungsfähigkeit Vater und Mutter sind in ihre Konflikte verstrickt, ihre Aufmerksamkeit ist auf das Handeln des/r anderen fokussiert. Sie verlieren die Fähigkeit, die Situation und dasVerhalten der Kinder unvoreingenommen zu sehen und zu verstehen, sondern interpretieren es im Lichte ihres Negativbildes des anderen Elternteils. Statt dass sie für die Kinder ein Zufluchtsort bei Belastungen sind, sind sie deren Ausgangspunkt:
- Hoch konflikthafte Elternschaft entfaltet unmittelbar belastende Wirkung Bei hoch konflikthafter Elternschaft steigt für die Kinder das Risiko, Zeugen häuslicher Gewalt zu werden.
Nahezu regelmäßig geraten sie unter Loyalitätsdruck und es kommt zur Instrumentalisierung. Zur Thematik „Kinder als Zeugen häuslicher Gewalt“ legt Korittko (2013, S. 260 f.) dar, dass die Kinder in ihrer Bindung an die Eltern sich mit dem Täter (meist der Vater) und dem Opfer (meist die Mutter) identifizieren. Sie entwickeln über Imitation die Bereitschaft, selbst zu aggressivem Täter oder devotem Opfer zu werden, oder abwechselnd beides. Minimale Schlüsselreize (Trigger) können ein entsprechendes Verhalten hervorbringen. Alberstötter (2013, S. 117 ff.) setzt sich mit einer bisher vernachlässigten Form der Macht- und Gewaltausübung auseinander, die in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung ist: der „Verfügungsgewalt“ des hauptsächlich betreuenden Elternteiles über das Kind „als mächtigem Mittel in der Gegnerschaft mit dem getrennt lebenden Ex-Partner und Elternteil“. Er unterscheidet dabei drei qualitativ unterschiedliche Dimensionen:
- Deutungsmacht und Definitionshoheit über das Wohl und den Willen des Kindes,
- Behinderungsmacht als Marginalisierung und Ausschluss in den Bereichen Gesundheit und Schule sowie demonstrative Marginalisierung bei der Betreuung,
- Herrschaft und Kontrolle über den Umgang als Zeitregime, Handhabung von Herrschafts-, Kontroll- und Strafräumen, Anwesenheit beim Umgang gegen den Willen des anderen Elternteils, als Übernachtungsverweigerung und Kontaktverhinderung.
„Loyalitätsdruck“ ist bei hoch konflikthafter Elternschaft nahezu zwangsläufig. Das Kind nimmt die Unvereinbarkeit der Positionen von Vater und Mutter wahr; es muss spalten oder sich von einem Elternteil und dessen Perspektive (oder von beiden) distanzieren.
Die unterschiedlichen Positionen der Eltern können jedenfalls irritierend sein und das Kind in schwerwiegende Konfusionen bringen und mitunter traut es seinen eigenen Wahrnehmungen nicht mehr:
Ein 11-jähriger Junge, konfrontiert mit den anhaltend widersprüchlichen Aussagen von Vater und Mutter über Dinge, die er selbst erlebt hat, steht auf, rauft sich die Haare und sagt mit dem Ausdruck der Verzweiflung: „Ich weiß nicht mehr, was wahr ist“.
Väter und Mütter haben Angst, ihre Beziehung zum Kind nicht ausreichend und intensiv genug gestalten zu können und Einfluss auf es zu verlieren. Deshalb versuchen sie immer wieder, sich der guten Beziehung zum Kind zu vergewissern. Sie wünschen sich, dass es sie versteht und im Konflikt mit dem anderen Elternteil auf ihrer Seite steht.
Schon mit diesem – leicht nachvollziehbaren – Wunsch beginnt eine Instrumentalisierung: Die Eltern benutzen das Kind für die Stabilisierung ihrer Selbstsicherheit in der Auseinandersetzung mit dem/ der anderen. Die Rollen von Eltern und Kind werden pervertiert; das Kind ist in der Situation, für die Eltern sorgen zu sollen, weshalb in diesem Zusammenhang auch der Begriff der Parentalisierung benutzt wird.
Doch konflikthafte Elternschaft gefährdet das Fortbestehen kindlicher Beziehungen zu wichtigen Bezugspersonen.
In vielen familiengerichtlichen Verfahren geht es um die Umgangskontakte zwischen Kind und dem getrennt lebenden Elternteil. Doch wurde und wird bei den Bemühungen um die Sicherung von Umgangskontakten der rechtliche und psychologische Zusammenhang, aus dem sich deren Bedeutung für das Kind ableitet, vielfach vernachlässigt.
Zum einen sind bei hoch konflikthaften Eltern Umgangskontakte für die Kinder nahezu regelmäßig mit dem Erleben elterlicher Feindseligkeit verbunden. Deren Begegnungen verlaufen in eisiger Atmosphäre oder sind Gelegenheit für rücksichtslose Auseinandersetzungen. Auch besteht die Gefahr, dass Vereinbarungen nicht eingehalten werden und so eine für das Kind unüberschaubare und unberechenbare Situation entsteht.
Zum anderen verhindern die spannungsgeladene Beziehung der Eltern und die damit verbundenen Belastungen die Entwicklung einer positiven Beziehung zwischen Kind und meistens dem nicht betreuenden Elternteil. Was konstitutiv ist für eine förderliche Vater-Kind- und/oder Mutter-Kind-Beziehung, kann sich angesichts der Rahmenbedingungen und der Elternkonflikte nicht entfalten. Anstatt dass eine gelebte Beziehung zu beiden Elternteilen zur Grundlage einer gesunden Identitätsentwicklung werden kann, entstehen beim Kind deformierte und beschädigte Bilder von Vater und/oder Mutter, mit der Gefahr bedenklicher Entwicklungsperspektiven.
Behrend (2009) hat im Rahmen ihrer Dissertation zur Thematik „Kindliche Kontaktverweigerung nach Trennung der Eltern aus psychologischer Sicht“ untersucht, welche belastenden Konstellationen dazu führen können, dass Kinder den Kontakt zu einem Elternteil verweigern und auf dieser Basis eine für die Praxis hilfreiche Typologie entwickelt (s. auch 2013, S. 232 ff.). Es wäre ein fahrlässiger Irrtum, die Realisierung von Umgangskontakten gleichzusetzen mit einem förderlichen Fortbestehen einer konstruktiven Beziehung zu beiden Elternteilen.
- Kinder hoch konflikthafter Eltern wachsen in einer Atmosphäre der Kriegslogik auf
Die 40-jährige Mutter von 2 Kindern sucht mit ihrem Mann eine Beratungsstelle auf, weil sie die Paarsituation als sehr belastet erlebt. Sie fühlt sich ungeliebt, glaubt, dass ihr Mann eine außereheliche Beziehung hat und die Familie verlassen wird. Es zeigt sich, dass sie als Kind eben diese Konstellation in der Herkunftsfamilie erlebt hat, als ihre Mutter gleichfalls 40 Jahre alt war. Sie projiziert jetzt die mit dem eigenen Vater gemachten Erfahrungen auf den Ehemann und ist im Begriff, auch die in der Herkunftsfamilie erlebten „Lösungs“-Muster zu reproduzieren: Sie will sich trennen, mit dem Kind, das „auf ihrer Seite“ steht, ausziehen und die Kontakte mit dem Noch-Ehemann abbrechen. Auch ihr habe es nicht geschadet, dass sie nach der Trennung der Eltern keinen Kontakt zu ihrem Vater hatte.
Die im Kontext hoch strittiger Elternkonflikte erlebten Konflikte, Enttäuschungen und Konfliktbewältigungsmuster wirken bei betroffenen Kindern fort. Wie im skizzierten Fall oft unbewusst, werden sie erwartungs- und handlungsleitend für das eigene Leben. Götting (2013, S. 276 ff.) weist auf typische Erfahrungen von Kindern hoch strittiger Eltern hin, die für deren Welterleben prägend werden. Die von ihr angesprochenen „Lernprozesse“, dass
- Kriege und Konflikte eine höhere Sache sind
- offene Rechnungen beglichen werden müssen
- das Leben mit Hilfe von dämonisierenden Überzeugungen zu bewältigen ist
können Einstellungen prägen, die in vielen Lebenszusammenhängen, besonders beim Eingehen eigener Paarbeziehungen und der Erziehung eigener Kinder, äußerst destruktiv wirken:
- Hoch konflikthafte Elternschaft verschärft die Risiken für eine Verschlechterung der sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen
Eine Hochkonflikt-Situation zwischen Vater und Mutter bedeutet auf Dauer starke Belastung für Eltern und Kind. Meist hat diese Belastung soziale, wirtschaftliche und psychische Dimensionen, die sich in einem wechselseitigen Beeinflussungsprozess aufschaukeln und mit drastischem sozialen Abstieg verbunden sein können.
Die Dynamik der Hochstrittigkeit lässt es in den meisten Fällen nicht zu, dass frühere familiäre Beziehungen und Freundschaften zu beiden Beteiligten und deren jeweiligem Umfeld weiterbestehen. Von Freunden und Familienmitglieder erwarten hochstrittige Eltern eine klare Positionierung: “Wenn Du nicht siehst, was er/sie für eine miese Type ist, dann weiß ich, wie Du zu mir stehst“.
In Verbindung mit einem häufig stattfindenden Wohnungswechsel kommt es in den meisten Fällen zum Verlust bisheriger Beziehungen. Dass die eigene Belastung zu einem schwierigeren Sozialverhalten führt, kann bei Kindern wie bei Erwachsenen eine zusätzliche Rolle spielen.
Wenn sich ein hochstrittiger Elternteil in einer besseren wirtschaftlichen Situation befindet als der andere (oft der Vater, während die Mutter als Alleinerziehende mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat), wird er einen Aufenthalt des Kindes dazu nutzen, es TRIΔLOG 19/2018 zu verwöhnen und zu demonstrieren, dass es bei ihm „besser ist“, andererseits aber darauf achten, dass die eigenen besseren Ressourcen nicht auch im Leben des Kindes beim anderen zum Tragen kommen.
Kinder bei hochstrittiger Elternschaft – Folgen
- Merkmale des Kindes und seines Umfeldes moderieren die Wirkung der Elternkonflikte
Es würde zu kurz greifen, wenn man zur Klärung der Folgen für das Kind nur den Elternkonflikt in den Blick nehmen würde. Informationen über die Vorgeschichte des Kindes, über das soziale Umfeld und die allgemeinen Lebensbedingungen sind notwendig, um die durch die Hochstrittigkeit der Eltern bestehenden Gefährdungen einschätzen zu können. Alter, Geschlecht und weitere persönliche Merkmale (kritische Vorerfahrungen, psychische Robustheit oder Vulnerabilität u. a.) moderieren die Wirkung der erlebten Belastungen ebenso wie Merkmale des sozialen Umfeldes. Große Bedeutung haben z. B. die Familienform, in der das Kind nach Scheidung der Eltern lebt, Ressourcen in Form von verlässlichen Freunden, befriedigende Freizeitbeschäftigungen u.a.
Es gibt also keine 1:1-Beziehung zwischen der Intensität des elterlichen Konfliktes und den daraus resultierenden Folgen für ein Kind. Die bestehenden Belastungen werden individuell sehr unterschiedlich verarbeitet.
Grundsätzlich können aktuelle oder überdauernde Beeinträchtigungen und Fehlanpassungen auftreten. Diese können eher externalisierend oder internalisierend sein. Die KIGGS-Studie macht deutlich, dass Kinder und Jugendliche nach einer Trennung der Eltern häufiger zu gesundheitlichem Risikoverhalten (Alkohol, Drogen, Rauchen) neigen. Man darf annehmen, dass dies in verstärktem Maß für Kinder hochstrittiger Eltern gilt.
Es ist aber auch möglich, dass ein Kind seine Belastungen konstruktiv bewältigt und somit positive Lernerfahrungen macht.
- Bewertung der Situation des Kindes
Hochstrittigkeit der Eltern ist für das betroffene Kind eine Belastung, führt aber nicht zwangsläufig zu einer Gefährdung der weiteren Entwicklung. Es ist deshalb notwendig, gezielt eine Bewertung der Situation des Kindes vorzunehmen. Dabei können folgende Konstellationen eine Orientierung sein:
- trotz Hochkonflikt der Eltern keine Gefährdung der weiteren Entwicklung
- Auffälligkeiten: weitere Beobachtung und Klärung sind angemessen
- deutliche Auffälligkeiten und Gefährdungen; erhöhter Diagnostik-, Beratungs- oder Therapiebedarf.
Die wirksamste Hilfe für Kinder hochstrittiger Eltern ist die Regulierung der elterlichen Konflikte. Weil eine rasche Beendigung der Konfliktsituation in vielen Fällen jedoch schwierig ist, eine angespannte Situation über Jahre andauern und auf die Kinder einwirken kann, sollten Beratungsdienste ihre Kompetenzen für eine Unterstützung von Kindern in schwierigen Lebenssituationen nutzen und neben der Elternarbeit auch Maßnahmen für die betroffenen Kinder einsetzen.
Autor:
Matthias Weber
Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut
und langjähriger Leiter der Lebensberatung
des Bisthums Trier in Neuwied
Literatur
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der Beratungsarbeit mit hoch strittigen Eltern.
In M. Weber, H. Schilling (Hrsg.). Eskalierte
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Weinheim und Basel: Beltz 2012, 29 – 51.
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In: Weber, M., Alberstötter, U. &
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Behrend, K. (2009). Kindliche Kontaktverweigerung nach Trennung der Eltern aus psychologischer Sicht: Entwurf einer Typologie
Bielefeld University, 2009.
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im Kontext des FamFG. Fachliche Standards.
In: Informationen für Erziehungsberatungsstellen 1/13. 3 – 10.
Deutsches Jugendinstitut (DJI), Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung (IFK); Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) (2010a). Kinderschutz bei hoch strittiger Elternschaft.
Wissenschaftlicher Abschlussbericht. München.
(www.dji.de/hochkonflikt)
Deutsches Jugendinstitut (DJI), Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung (IFK); Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) (2010b). Arbeit mit hochkonflikthaften Trennungs- und Scheidungsfamilien.
Eine Handreichung für Praxis. München. (www.dji.de/hochkonflikt)
Götting, S. (2013). Rosenkriegskind, Scheidungsopfer, Resilienzwunder…? Was Kinder in hoch konflikthaften Systemen lernen, was sie nicht lernen – und was sie besser wieder verlernen sollten.
In: Weber, M.,Alberstötter, U. & Schilling, H. (Hrsg.) (2013). Im Kontext des FamFG. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 273 – 290.
Korittko, A. (2013). Kinder als Zeugen häuslicher Gewalt. Umgang um jeden Preis oder Neuanfang ohne Angst?
In: Weber, M., Alberstötter, U. & Schilling, H. (Hrsg.) (2013).
Beratung von Hochkonflikt-Familien. Im Kontext des FamFG, Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 256 – 270.
Spengler, P. (2006). Wieder auf die Kinder schau’n. Arbeit mit dem Lebensflussmodell bei hoch strittigen Elternkonflikten.
In: M. Weber
& H. Schilling (Hrsg.). Eskalierte Elternkonflikte.
Beratungsarbeit im Interesse des Kindes bei hoch strittigen Trennungen. (2. Aufl.) Weinheim und
Basel: Beltz 2012, S. 52 – 75.
Weber, M. (2015): Hoch strittige Elternschaft: Orientierungen für ein differenziertes und
strukturiertes Vorgehen zur Erfassung kindlicher Befindlichkeit.
ZKJ, 1/2015 14 – 22.