Weiterentwicklung und Perspektiven: EFB 2020

„Integrative Erziehungs- und Familienberatung“ im Land Berlin

Trialog-19-2018

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Aus Sicht der LAG ist das gegenwärtige System der niedrigschwelligen, ambulanten Hilfe zur Erziehung nach § 28 SGB VIII mit dem Angebot frühzeitig wirksamer, kultursensibler integrativer Erziehungs- und Familienberatung dem Grunde nach optimal aufgestellt.

Von den ratsuchenden Familien und betroffenen Jugendlichen oder auch Kindern kann ein vergleichbares Leistungsangebot in jedem Berliner Bezirk wahlweise bei Beratungsstellen der öffentlichen Jugendhilfe oder bei Freien Trägern zeitnah und kostenfrei in Anspruch genommen werden.

Die gegenwärtige – vom Abgeordnetenhaus 2006 als Regelversorgungssystem beschlossene – Struktur eines dreisäuligen Finanzierungsmodells gewährleistet sowohl Kosten- und Leistungstransparenz für den öffentlichen Kostenträger als auch eine mittelfristige Planungssicherheit für die Leistungserbringer in Freier Trägerschaft bei gleichzeitig minimalem Verwaltungsaufwand für Bewilligungsverfahren und Hilfeplanung durch Anwendung des § 36 a Abs 2 SGB VIII in Form eines ‚Vereinfachten Verfahrens der Hilfeplanung’ innerhalb der EFB der Jugendämter und auch der Erziehungs- und Familienberatungsstellen der Träger der Freien Wohlfahrtspflege.

Für die Ratsuchenden Eltern, Kinder und Jugendlichen wird durch dieses System eine direkte, niedrigschwellige Inanspruchnahme ebenso ermöglicht wie die berlinweite Wahrnehmung Ihres „Wunsch- und Wahlrechts“ nach § 5 SGB VIII in Bezug auf eine ggf. gewünschte weltanschauliche oder religiöse Ausrichtung des jeweiligen Trägers der Beratungsstelle.

Auch muttersprachliche Beratungsangebote können berlinweit mit z. Zt. mehr als 20 verschiedenen Sprachen von den Klient*innen kostenlos in Anspruch genommen und nutzerfreundlich auf einer einheitlichen gemeinsamen ONLINE-Plattform gesucht und gefunden werden.

Diese neuartige, interaktive Website der Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung Berlin (LAG) koordiniert und präsentiert seit Beginn des Jahres im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familien (SenBJF) landesweit nicht nur alle Leistungsangebote kommunaler und freiträgerschaftlicher Beratungsstellen incl. ihrer präventiven und themenzentrierten Gruppenangebote auf einem gemeinsamen ONLINE-PORTAL, sondern erlaubt darüberhinaus den direkten Zugriff auf barrierearme, behindertengerechte Information durch Vorlese-Funktions-Buttons für Sehbehinderte und Übersetzungen in „Einfache Sprache“ nach den zukünftigen EU-Standards für Inklusion.

Auch neue Kombinationen von Beratungsformaten wie das „Blended Counseling“, die Verbindung von Onlineberatungsangeboten über Emails oder Chat und „face-to-face-Beratung“ in einer Beratungsstelle des sozialen Nahraumes, werden über dieses Portal vermittelbar. Diese modernen Zugriffsmöglichkeiten auf die Angebote der Erziehungs- und Familienberatung über mobile Endgeräte wie Smartphone und Tablets, erleichtern allen Ratsuchenden, aber insbesondere auch Geflüchteten Familien, den Zugriff auf relevante Informationen zur Nutzung der EFB und vermindern Hemmschwellen der Inanspruchnahme beispielsweise auch bei eingeschränkter Mobilität.

Auch spezielle Zielgruppen, wie Jugendliche und Junge Erwachsene, die gewohnt sind sich Hilfe und Rat primär „online“ zu beschaffen und die vorrangig nur im Netz nach Beratungs- und Therapiemöglichkeiten suchen, werden zukünftig besser erreicht.

Durch einheitliche, berlinweit gültige fachliche Standards gewährleistet das aktualisierte Berliner Modell:

  • Die Sicherstellung des Vertrauensschutzes und die Wahrung der Privatgeheimnisse der ratsuchenden Klienten (gemäß § 203 StGB und § 65 SGB VIII).
  • Die prinzipielle Freiwilligkeit der Inanspruchnahme.
  • Eine präventive Wirksamkeit der HzE nach § 28 durch Mobilisierung der Elternverantwortung und frühzeitige Stärkung der Elternkompetenzen und familiären Selbsthilfe-Ressourcen.
  • Flexibilität in der Kombination von notwendigen Hilfen durch enge Zusammenarbeit mit dem jeweilig zuständigen Jugendamt und durch sozialräumliche Vernetzung bspw. mit Kitas und Schulen.
  • Fallbezogene Kooperation mit dem Gesundheitswesen über KJPD und niedergelassene Kinderund Jugendlichen-Psychotherapeut*innen sowie mit den Schulpsychologischen Diensten der Berliner Bezirke.
  • Aufsuchende Erziehungs- und Familienberatung mit Geflüchteten Familien durch Einsatz von Masterplanmitteln „Integration und Sicherheit“ (Kap. 3.2.1) und muttersprachliche Angebote seitens der Fachkräfte mit Migrationshintergrund im multiprofessionellen Team
  • Bei hochstrittigen Trennungs- und Scheidungsfamilien auch die Möglichkeit der Anordnung der Beratung durch das Familiengericht (sogn. „Mandatierte Beratungen“ gemäß § 156 FamFG ) und ggf. des sogn. „Begleiteten oder Betreuten Umgangs“.

Für die Weiterentwicklung und Zukunftsicherung dieser “Integrativen Erziehungs- und Familienberatung bis 2020 empfehlen wir aus Sicht des LAG-Vorstandes Folgendes:

  1. Die notwendige Anpassung der zur Verfügung stehenden personellen und finanziellen Ressourcen an die wachsenden Bedarfslagen, insbesondere auch im Rahmen des gegenwärtig zu beobachtenden Bevölkerungswachstums schnellstmöglich umzusetzen (siehe hierzu die im TRIALOG Nr.16, S. 39 ff. veröffentlichten Empfehlungen und Beschlüsse des LAG-Vorstandes für Erziehungsberatung Berlin und Kooperationsgremiums bei SenBJF vom März 2016 und Mai 2016 ).
  2. Eine Weiterentwicklung und den personellen Ausbau der Online-Beratung und des „Blended Counseling“ in unterschiedlichen Formaten (Emails, Chats, Smartphone-Apps ) zur Stärkung der „Digitalen Präsenz“ der Berliner Erziehungs- und Familienberatungsstellen in den neuen Medien und in der Öffentlichkeit im Allgemeinen.
  3. Eine auskömmlichere Sachausstattung für die sozialräumlich vernetzte Arbeitsweise der EFB’ en bspw. in den bezirklichen Außenstellen, Kita-Sprechstunden und aufsuchenden Angeboten zur Partizipation und Teilhabe von Flüchtlingsfamilien (incl. der notwendigen Honorarmittel für Dolmetscher- und Sprachmittler-Einsätzen etc.).
  4. Schließlich halten wir es aus den Erfahrungen und Evaluationen der letzten Jahre für dringend erforderlich schnellstmöglich durch eine Modifikation der Mechanismen der Basiskorrekturen für das Produkt 79028 in den zukünftigen Haushaltsplanungen 2020 ff. die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Bezirke in ihren zweckgebundenen Zuweisungen an die Freien Träger der Erziehungs- und Familienberatung neben den Möglichkeiten der Preisanpassung (bei Anhebung der berlinweit gültigen Fallpauschale für HzE nach § 28) auch regelhaft angemessene, bedarfsorientierte Mengenanpassungen im erforderlichen Umfang vornehmen können, ohne von der Senatsverwaltung für Finanzen dafür jeweils vorab aufwändig eine gesonderte Antragsstellung vornehmen zu müssen. Derzeit sind nach Erkenntnissen der Berliner Bezirksstadträte für Jugend und Soziales und ihrer aktuellen Beschlusslage vom April 2016 für die vor uns liegenden Haushaltsjahre ca. + 15 % Mehraufwendungen für eine bedarfsangemessene Erhöhung der Anzahl der zu bewilligenden Fallpauschalen bei den Freien Trägern pro Jahr einzuplanen!

Resümee

Wir begrüßen die Entscheidung des Kooperationsgremiums bei der Senatsverwaltung für Bildung, Familie und Jugend (SenBJF) vom Mai 2018 zur Änderung und Fortschreibung der Rahmenvereinbarung zur Zukunftssicherung der EFB im Land Berlin (RV-EFB Berlin) ausdrücklich! In der aktualisierten Leistungs- und Qualitätsbeschreibung (LQV – Anlage 3 der RV-EFB) ist eine Erweiterung des Mindestumfangs des multiprofessionellen KERNTEAMS jeder EFB in zwei Stufen von 3,0 VZÄ im Jahr 2017 auf 4,5 VZÄ im Jahr 20191 für die EFB-Fachkräfte der Freien Träger vorgesehen.

Das Abgeordnetenhaus von Berlin hatte hierfür – nach jahrelangen Vorarbeiten und zuletzt einer konzertierten Aktion intensiver Lobbyarbeit der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, der Bezirksstadträt*innen für Soziales und des LAGVorstandes Berlin – bereits mit der Verabschiedung seines Doppelhaushaltes 2018/2019 die dringend benötigten Finanzmittel in Form einer landesweit gültigen Zuwendung bereitgestellt.

Dies stellt angesichts des Umstandes, dass die komplette Einwohnerzahl der Stadt Bonn (322.125 Menschen)‚symbolisch gesprochen’ im Zeitraum zwischen 2015 und 2018 vom Rhein an die Spree ‚umzieht’ und Berlin mit seinem aktuellen Zuwachs nicht erst 2020 die 3.7 Millionengrenze knackt, erst einen absolut dringlichen und angemessenen ersten Schritt in Richtung einer notwendigen Bedarfsanpassung der personellen Ressourcen der Berliner Erziehungsberatungsstellen dar.

Für die Kommunalen Erziehungsberatungsstellen der Berliner Jugendämter ist inzwischen ebenfalls eine erste Kompensation der zunehmend in „fachdienstliche“ Aufgabenwahrnehmung ‚abgewanderten’ Personalkapazitäten2 geplant: hier soll im Rahmen des lfd. Doppelhaushaltes für die Angebote des Produktes ‚Integrative EFB-Leistungen’ eine zusätzliche 100%ige Planstelle in jedem Berliner Bezirk geschaffen werden und hoffentlich auch baldmöglichst mit neuen Fachkräften besetzt werden können!

Nach den Berechnungen der AG „Finanzen“ – einer multilateral besetzten Kommission des Kooperationsgremiums bei SenBJF – bestand allerdings bereits seit Ende 2017 eine deutliche klaffende Lücke in der Personaldecke der Berliner EFBLandschaft : Danach fehlten in den multiprofessionellen Teams aller Berliner Erziehungs- und Familienberatungsstellen insgesamt zum Stichtag 31.12.2017 Fachkräfte im Umfang von mehr als 43 Vollzeit-Äquivalenten, was für die Bürgerinnen und Bürger mit Hilfebedarf erheblich verlängerte Wartezeiten oder nur kurze provisorische Clearingsprozesse mit anschließender Weiterverweisung bedeutete. Auch präventive Leistungen wie Gruppenangebote bei Trennung und Scheidung mussten z.T. erheblich eingeschränkt werden, um die Akutversorgung für junge Menschen und Ihre Familien annähernd aufrechterhalten zu können.

Ausblick

Um diesen misslichen (und mittelfristig wie Studien belegen für die Berliner Jugendämter auch kostenträchtigen) Zuständen für die Zukunft schnellstmöglich abhelfen zu können, waren die o.g. Maßnahmen des Senats im Zuwendungsbereich ein wichtiger erster Schritt. Bis Ende 2019 könnten knapp 42 % des Fehlbedarfs annähernd gedeckt werden, wenn es gelingt alle zur Verfügung stehenden neuen Stellen zügig mit Fachpersonal zu besetzten.

Zeitgleich sind jetzt die Berliner Bezirke und Ihre Jugendamtsdirektor*innen am Zuge, Ihre eigenen kommunalen Erziehungsberatungsstellen mit zusätzlichem Personal zu verstärken. Bei zügiger Umsetzung der von den Bezirksstadträten bereits im April 2016 ins Auge gefassten Beschlüsse könnten bis zum 1.1.2020 immerhin knapp 70 % des aktuellen landesweiten Fehlbedarfs gedeckt sein.

Darüberhinaus sind die Bezirke durch die § 4 Abs.2 der Berliner RV-EFB3 und ihre letztgenannte Beschlusslage jetzt mehr denn je herausgefordert, die eigenen verringerten Leistungs-Kapazitäten im Produktbereich „Integrativer Erziehungs- und Familienberatung“ durch Umwandlung in Sachmittel als Transferleistung in Form von zusätzlichen Fallpauschalen bei den örtliche Partner-Beratungsstelle Ihres jeweiligen Freien Trägers auszugleichen. Nach Schätzungen der Runde der Bezirksstadträte sind hierfür im Haushaltsjahr 2019 und ff pro Bezirk rund 15%igen Mengenerhöhungen bei der Anzahl der zu bewilligenden Fallpauschalen von Nöten – Nur mit vereinten Kräften und einer solch nachhaltigen Vollendung der von LAG, Liga und Senat angestoßenen ‚konzertierten Aktion’ könnte der gegenwärtige Fehlbedarf bis 2021 annähernd ausgeglichen werden!*


*Zum Stichtag 31.12. 2017 waren die reduzierten 600 Fälle in den kommunalen Erziehungsbertungsstellen im Produkt integrative EFB bislang nur durch 60 zusätzliche Fallpauschalen im Bereich Freier Träger kompensiert worden. Vgl. Fußnote 2 und Rahmenvereinbarung § 4 (2): „Bezirke, die eigene Beraterfachstellen vermindern, stellen Gelder im Umfang dieser Mittel dem freien Träger in ihrem Bezirk für dessen Beratungsstelle zur Verfügung, um die Grundversorgung sicherzustellen und die Beratungskapazitäten im Bezirk zu erhalten.
Jede Veränderung ist dem Kooperationsgremium gemäß § 7 dieser Vereinbarung unverzüglich anzuzeigen.“ – Stand: 14.06.2018-


Achim Haid-Loh
Vorstand der LAG Erziehungsberatung Berlin e.V.
Berlin, im Juli 2018